Persönlich

Warum die Feministin der ersten Stunde jetzt Wein verkauft

Text: Marco Zysset
Fotos: Patric Spahni
Helen Kirchhofer ( 71 ) ist vor allem bekannt für ihre Uhren- und Schmuckgeschäfte. Während 35 Jahren leitete sie das Unternehmen, bevor sie es 2021 an ihre Nachfolger übergeben hat. Heute verkauft sie Wein, den die Familie seit 1959 in Collobrières, einem Dorf zwischen Toulon und St. Tropez in der Provence produziert. Ein Gespräch über Genuss, Business und Feminismus.

Helen Kirchhofer, Uhren, Schmuck, Mode und Wein haben alle etwas mit Genuss zu tun. Sind Sie ein Genussmensch?

Helen Kirchhofer: Ja, definitiv!

Wie äussert sich das?

Helen Kirchhofer: Zunächst habe ich sehr gerne schöne Sachen: Kunst, Mode, Landschaften oder Häuser. Das ist für mich alles Genuss. Dann esse ich sehr gerne – und trinke natürlich gerne einen feinen Schluck.

Kann 35 Jahre als Firmeninhaberin in einer Branche, die immer anspruchsvoller wird, nur überleben, wer neben dem Beruf herzhaft geniessen kann?

Helen Kirchhofer: Ich habe sehr gerne gearbeitet. Auch wenn es manchmal tatsächlich herausfordernd war. Aber wahrscheinlich hat die Tatsache, dass ich immer wieder abschalten und zum Beispiel ein feines Glas Wein trinken konnte, geholfen, zu bestehen. Wichtig ist, dass ich solche Momente zusammen mit lieben Menschen geniessen kann.

Und deshalb wurden Sie Wein­händlerin?

Helen Kirchhofer: Mein Vater hat das Weingut ins Leben gerufen und hat nach seiner Pensionierung mehrheitlich in Collobrières gelebt.

Und wie nehmen Sie von hier aus Einfluss auf das Geschehen im Weingut?

Helen Kirchhofer: Mein Vater stellte einst einen jungen Mann ein, der das Gut heute noch führt. Er bewirtschaftet den Weinberg, pflanzt und pflegt die Reben, und keltert zusammen mit Experten aus dem Dorf den Wein selber. Natürlich arbeitet auch seine Frau mit – und bei Bedarf haben wir Arbeitskräfte im Stundenlohn. Das Weingut hat sich in all den Jahren erfreulich entwickelt.

Helen Kirchhofer unterwegs im Weinberg der Familie in der französischen Provence.

Ein wachsendes Weingut – wo Frankreich im Bordelais Prämien bezahlt, damit Winzer Reben ausreissen? Wie kommt das?

Helen Kirchhofer: In der Provence ist es genau umgekehrt: Wir werden unterstützt, wenn wir neu anpflanzen. Deshalb können wir seit drei Jahren erstmals auch Weissweine anbieten.

Helen Kirchhofer ist in Interlaken aufgewachsen, wo sie lange Zeit lebte und arbeitete. 1997 zog es sie nach Thun. 2011 übergab sie die Schmuck- und Uhrenkette Helen Kirchhofer an ihren langjährigen Mitarbeiter und Geschäftspartner Fritz Ming, und die Heno SA Mitte 2021 an ihre Nichte Laura Kirchhofer und gründete zusammen mit ihrem Bruder eine eigene Firma, welche die Weine aus dem familieneigenen Weingut Domaine du Garde Temps in Collobrières in der Provence in die Schweiz importiert.

Vorwiegend werden die für die Gegend typischen Sorten Gre­nache, Sirah, Cinsault, Mourvèdre und seit kurzem Vermentino angebaut.

Die Anbaufläche ist vor allem in den letzten 10 Jahren kontinuierlich ausgeweitet worden und umfasst heute rund 15 Hektaren, was einer jährlichen Weinproduktion von rund 320 Hektolitern entspricht. Zurzeit wer­den etwa 17 000 Flaschen auf dem Gut abgefüllt. Ein wachsender Anteil der Produktion wird direkt in Restaurants und Geschäften, aber auch an Private in der näheren und weiteren Umgebung abgesetzt und in die Schweiz importiert.

Ein Teil des Traubengutes wird zudem an die lokale Coopérative verkauft.

www.equinox-weine.ch

Wein, Trauben und Genuss sind drei Leidenschaften von Helen Kirchhofer.
Warum haben Sie nach einer erfolgreichen Karriere noch einmal eine Firma gegründet? Wie so Vieles befindet sich auch der Weinhandel in einem Umbruch …

Helen Kirchhofer: Weil es mir Spass macht! Ich möchte sicher nicht mehr so intensiv zu Werke gehen wie früher. Aber ich möchte noch etwas, wo ich mich einbringen kann – etwas, das ich geniessen kann. Ich bin aber nicht ­allein: Mein Bruder übernimmt alle ­administrativen Arbeiten in der Firma, ich den Verkauf.

Spielen Uhren und Schmuck noch eine Rolle in Ihrem Leben als Weinhändlerin?

Helen Kirchhofer: Natürlich. Die Namen unserer Weine – Équinoxe, Tourbillon und Quantième – beziehen sich alle auf Begriffe aus der Welt der Uhrenindustrie. Auch die grafischen Elemente auf den Etiketten sind an Uhren und Zeit angelehnt.

Die Vergangenheit lässt sie nicht los …

Helen Kirchhofer: Uhren, Schmuck, Mode – schöne Dinge und Genuss – gehören für mich zusammen. Und da gehört für mich eben auch Wein dazu. Etwas, das man geniessen kann, soll schön inszeniert werden.

Können Sie im Weinhandel von den Erfahrungen aus 50 Jahren in der ­Uhren-, Schmuck- und Modebranche profitieren?

Helen Kirchhofer: Was die Produktion angeht, betrete ich Neuland. Der grösste Unterschied ist das Wetter, von dem die Weinproduktion komplett abhängig ist. Aber es gibt durchaus Parallelen mit der Uhrenbranche. In beiden Welten sind höchste Präzi­sion und exaktes Arbeiten gefragt. Ein kleiner Fehler kann eine verheerende Wirkung haben.

Das Weingut liegt malerisch eingebettet in die Landschaft im Süden Frankreichs.

Sind Sie ein exakter Mensch?

Helen Kirchhofer: In meinem Jahr in der Uhrenmacherschule habe ich sehr gelitten. Mir liegt das grosse Ganze mehr als das Detail. Ich bin dankbar, habe ich Leute um mich, die aufs Detail versessen sind.

Sie sind auch im Weinhandel ausge­bildet …

Helen Kirchhofer: Das war 1981, am heutigen Weinbau-Kompetenzzentrum in Wädenswil. Damals mussten alle diesen Lehrgang machen, die Wein in die Schweiz importieren wollten. Mein Vater war der Meinung, er sei zu alt dafür und schickte mich, weil ich gerade von einem Jahr in Amerika zurückkam und noch nicht so recht wusste, in welche Richtung es bei mir beruflich weitergehen sollte.

«Ich möchte noch etwas, wo ich mich einbringen kann – etwas, das ich geniessen kann.»
Helen Kirchhofer

Wie war das denn, damals in Wädenswil?

Helen Kirchhofer: Wir waren drei Frauen und 80 Männer. Und hatten einen unsäglich sexistischen Lehrer. Er riet einer von uns mit Blick auf ihren üppigen Busen, sie solle doch eine Milchhandlung eröffnen. Mir sagte er, ich könnte als Mireille Mathieu singen gehen, wenn ich den Lehrgang nicht bestehe – und er setzte alles daran, mir das Leben schwer zu machen. Selbst an der Prüfung trieb er mich in die Enge. Bis ich ihm klar machte, dass er aus mir schon viel mehr rausgequetscht habe, als aus den anderen, und dass ich nun wirklich mit meinem Wissen am Ende sei. Erst das machte ihm offensichtlich Eindruck.

Haben Sie solche Widerstände angetrieben oder gehemmt?

Helen Kirchhofer: In mir wuchs schon die Haltung: «So, denen zeige ich’s!» Diese Schule war für mich nicht einfach und ich bin heute noch dankbar, konnte ich auf die Unterstützung eines sehr guten Mitschülers zählen. So wie ich an der Abschlussprüfung eine klare Ansage machte, wenn Grenzen überschritten wurden, musste ich das manchmal auch im Uhrengeschäft tun.

In den Fässern lagert kostbares Gut in flüssiger Form.
Auch heute noch müssen Frauen für ein gleiches Ergebnis bisweilen härter arbeiten als ihre männlichen Kollegen.

Helen Kirchhofer: Wir Frauen inszenieren unser Schaffen weniger mit grossen Worten. Wir müssen mit Leistung überzeugen. Aber auch Männer müssen liefern, wenn sie Karriere machen wollen; es ist für beide nicht einfach.

Wie blicken Sie auf die aktuellen Geschlechter- und Rollen-Diskurse?

Helen Kirchhofer: Sehr intensiv. Ich bin eine Feministin der ersten Stunde und scheute mich nie, mich als Emanze zu bezeichnen. Dieses Wort wird noch heute falsch interpretiert. Aber ich werde langsam auch müde, wenn ich sehe, dass gewisse Dinge sich einfach nicht ändern. Da sind jetzt die jungen Frauen gefordert. Sie müssen ihre Rechte einfordern.

Zum Beispiel?

Helen Kirchhofer: Die Familienbetreuung in der Schweiz ist absolut untauglich. Das muss sich unbedingt verbessern, damit Frauen die Strukturen haben, um arbeiten zu können. Kinderbetreuung darf nicht so teuer sein, dass eine Frau sich überlegt, ob sie arbeiten soll oder nicht. Die Frau unseres Verwalters in Collobrières kann ihr Kind seit es zwei Monate alt ist in die Krippe geben. Und es macht keinen unglücklichen Eindruck – diese Situa­tion ist dort einfach normal.

Das vielzitierte afrikanische Dorf, das es braucht, um ein Kind aufzuziehen?

Helen Kirchhofer: Haargenau!

Aber wer soll das bezahlen, wenn nicht die Eltern? Staat oder Wirtschaft?

Helen Kirchhofer: Die Gemeinschaft. Alle sollen ihren Teil beitragen. Die Wirtschaft profitiert, wenn die Frauen ­arbeiten können. Der Staat profitiert, wenn es der Wirtschaft gut geht.

Haben Sie je an einen Gang in die Politik gedacht?

Helen Kirchhofer: Nein, definitiv nicht! Ich bin derart undiplomatisch, das käme gar nicht gut.

Das Unternehmen verfügt über sechs Filialen, ein Logistikcenter sowie seinen Hauptsitz in Thun. mobile4business vernetzt alle Standorte mittels Internet und stellt den notwendigen Support während den Öffnungszeiten bereit. Der Webshop sowie alle Standorte sind mit einer zentralen Telefonielösung von Starface verbunden, die ebenfalls von mobile4business betrieben wird.

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